Rede zur Eröffnung der Ausstellung "museumsreif mit special Marie Marcks"
Museum für Humor und Satire, Luckau, 13.3.2011

Wir beginnen unsere Reihe mit den Ausführungen von WP Fahrenberg, anlässlich der ersten Ausstellung des neuen Museums  der Cartoonlobby im Land Brandenburg. WP Fahrenberg, bekannter Kunstwissenschaftler, Agent und Herausgeber aus Göttingen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung der Komischen Künste und neuer Initiativen zur Präsentation derselben eingegangen. Für Interessierte und als Anregung für weitere Diskussionen bringt das CartoonJournal hier den gesamten Originaltext der Rede:


 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
so viele Grußworte !

Und ich habe auch noch welche... Aber halten Sie durch, das Buffet wird erst nach meiner kurzen Rede eröffnet, und die Getränke müssen bei diesen fast sommerlichen Temperaturen eh noch ein wenig gekühlt werden....

Es tut sich was in der großen Humor&Satire-Szene !

Schon eigenartig : hin und wieder sollte man sich bewusst machen, dass die "komische Kunst" die Kunstform ist, die weltweit am häufigsten betrachtet, rezipiert und zumindest in Form von Büchern, Postern, Postkarten und Zeitschriften auch gekauft wird.... Es gibt sogar viele Cartoon-Motive, die in millionenfacher Auflage gedruckt wurden, und – einfach mit Tesafilm fixiert oder aufwändig edel gerahmt – die Wände hunderttausender Wohnungen schmücken. Dahin haben es weder Rembrandt mit seinem "Mann mit dem Goldhelm" noch Picasso mit "Guernica" gebracht; an die Klassiker der Karikatur oder des Cartoon reichen, was die Nutzungszahlen angeht, aus der sogenannten "Hochkunst" bestenfalls die "Seerosen" von Monet oder die "Sonnenblumen" von van Gogh heran. Trotzdem kam, ganz besonders im deutschsprachigen Raum, lange kein zuständiger Kulturpolitiker auf die doch so naheliegende Idee, für die erfolgreichste Kunstform der Welt auch entsprechende museale Häuser zu schaffen... Um so peinlicher, daß zum Beispiel in unseren Nachbarländern wie Frankreich, Belgien, Großbritannien, Dänemark längst solche Museen entstanden sind, oder vorhandene Kunsttempel ganz selbstverständlich in regelmäßigen Abständen bedeutende komische Zeichner mit großen und großartigen Ausstellungen würdigen...

Aber, wie gesagt, allmählich bewegt sich etwas ! Immerhin existiert das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover schon erfreulich lange Zeit, und in den letzten zwei Jahrzehnten, vor allem aber in den letzten Jahren kamen die Caricatura in Kassel, das Cartoonmuseum in Basel, in jüngster Zeit das Frankfurter Museum für Komische Kunst, das wunderschöne Karikaturmuseum in Krems an der Donau, der Club der komischen Künste in Wien hinzu, nicht zu vergessen das Sommerpalais in Greiz und die grad hervorragend runderneuerte e.o.plauen-Galerie in Plauen; auch immer mehr Kunstvereine und kommerzielle Galerien entdecken, dass eine Kunstform, die nicht nur, aber auch gesellschaftlich relevant und philosophisch innovativ sein kann, die indes vor allem : schlicht SPASS macht, ein gigantisches Publikum anzieht !

Am vergangenen Wochenende verliehen wir in Göttingen wieder einmal den "Göttinger ELCH", einen Preis für ein Gesamtwerk satirischer Provenienz; wie gewohnt trafen sich dort viele der Vertreter der komischen Künste, und ein zentrales Gesprächsthema bei allen war das neue Haus in Luckau – so darf ich jede Menge Grüße ausrichten aus dem Kreis der "Elche" wie Ernst Kahl, Harry Rowohlt, F.W. Bernstein, Hans Traxler, Anna Poth, Hans Well von den Biermösl Blosn, dem diesjährigen Preisträger Josef Hader und vielen anderen...

Während wir uns hier in diesem beeindruckenden Gebäude über die Ausstellung "museumsreif" freuen, wird in München letzte Hand angelegt an eine Ausstellung mit internationalen Großmeistern des Genres – diese Schau wird am kommenden Dienstag die Gründung des Fördervereins der "Komischen Pinakothek" markieren, die in absehbarer Zeit gleichberechtigt neben den drei klassischen Pinakotheken stehen soll. Vorangetrieben wird dieses höchst ehrgeizige Projekt von Vermittlern wie der schon legendären Galeristin Meisi Grill und dem ehemaligen Kultusminister Thomas Goppel, und von erfolgreichen Künstlern wie Rudi Hurzlmeier und Luis Murschetz. Auch von dort kommen die herzlichsten Grüße und Wünsche nach Luckau !

Durch die mutigen und klugen Anstrengungen Ihrer schönen Stadt, ihrer Vertreter und natürlich des unermüdlichen Andreas Nicolai und seiner Mitstreiter von der Cartoonlobby steht Luckau nun unverhofft, aber schon jetzt verdient, auf Augenhöhe mit den Metropolen ! Und : nachdem ich in den letzten Tagen sehr häufig Fragen beantworten mußte wie "Wo liegt Luckau eigentlich genau ?" oder "Gibt es denn schon Infomaterial ?", darf ich dem hiesigen Fremdenverkehrsverein empfehlen, sich auf beständig steigende Besucherzahlen einzustellen....

Dass das Museum für Humor & Satire nun mit einer kleinen Ausstellung der grand dame der Karikatur, Marie Marcks, reüssiert, macht Sinn und ist ein ausgesprochen kluger Schachzug... Um dies zu verdeutlichen, muß ich bis zum Jahr 1989 und, Sie ahnen es, bis zur Wende zurückgehen. Damals sollte ja alles, was nicht niet-und nagelfest war, schleunigst zusammenwachsen, wenn es nach der Vorstellung einiger Politiker gegangen wäre. Selbstverständlich sollte dazu auch das Humorverständnis gehören, und prompt gab es dutzende, ach, hunderte von Ausstellungen der bedeutenden Humoristen im ganzen, neuentstandenen Deutschland. Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Richtig ist : Wir Wessis überzogen die neuen Länder mit reichlich Präsentationen unserer West-Helden – der Gegenzug blieb erschütternd überschaubar, von wenigen freundlichen Ausnahmen abgesehen. Eigentlich kein Wunder... Ich erinnere mich, dass im Sommerpalais in Greiz anlässlich der ersten gemeinsamen Satiricums-Ausstellung ein westdeutscher Museumsmensch den anwesenden Ostzeichnern erklärte, sie mögen jetzt doch erst mal zeichnen lernen. Diese Haltung, entstanden aus einer Mischung von Arroganz und tiefster Unkenntnis, blieb lange, viel zu lange bestehen – erst im Jahr 2008 gab es in Hannover endlich eine große Ausstellung über die Ost-Meister der komischen Zeichnerei – an der übrigens wiederum ganz maßgeblich Andreas Nicolai beteiligt war. Allerdings darf und muss ich Ihnen ein Kompliment machen : in den neuen Ländern wurden Künstler wie Robert Gernhardt, F.K. Waechter, Michael Sowa, Chlodwig Poth, Erich Rauschenbach gern eingeladen und schnell akzeptiert. Auf der Westseite war man erheblich behäbiger – als wenn es solche großartigen Zeichner und Zeichnerinnen wie Reiner Schwalme, Barbara Henniger, Beck, Manfred Bofinger, Henry Büttner, Louis Rauwolf, Peter Dittrich und viele, viele andere gar nicht gegeben hätte ! Der EULENSPIEGEL war offen genug, Westzeichner zu präsentieren; aber wie viele Ostzeichner sind bis heute im Flaggschiff der West-Satire, der TITANIC, vertreten gewesen ??? Zählen Sie besser nicht nach...

Um so wertvoller, daß die ostdeutsche Karikaturszene hier in Luckau nun einen neuen Fixpunkt erhalten hat, von dem aus sie stolz und ohne Anbiederung agieren kann --- ich darf Ihnen versichern, daß dieser verdienstvolle Ansatz nun auch in den Bastionen westlicher Kulturvermittler wahrgenommen und MEHR als beachtet wird !

Dass zu den ersten Künstlern, die in diesem neuen Museum gezeigt werden, nun ausgerechnet auch die West-Ikone Marie Marcks gehört, belegt nicht nur, wie kenntnisreiches "Über-den-Tellerrand-Schauen" aussieht und was Schulterschluss in der Humor-Szene bedeuten kann, es beschämt unsere Betonköpfe auch in aufrüttelnder Weise, und wird zu positiven Reaktionen führen !

Marie Marcks – auch deshalb fügt sich ihr Werk so gut in diese Umgebung, weil ihr künstlerisches Leben geprägt war von zahllosen Kämpfen, Widerständen und versuchter Bevormundung, und von der Kraft und dem Mut, sich immer wieder gegen ewig Gestrige und neue Zeitgeister aufzulehnen....

Geboren wurde Marie Marcks 1922 in Berlin, dies in eine überaus kunstsinnige Familie hinein; der Vater war Architekt, die Mutter hatte, damals noch sehr außergewöhnlich, die Kunstakademie besucht; sie arbeitete als Kalligrafin und gründete später eine eigene Kunstschule. Der berühmte Bildhauer Gerhard Marcks war Maries Onkel – der Kontakt zu ihm war eng und in vieler Hinsicht prägend. Wenn man im Hause Marcks nicht grade über Kunst, Literatur und Politik diskutierte, dann trieb man sich zum Wandern und Bootfahren im Spreewald und in der Niederlausitz herum – Marcks schwärmt noch heute von den Landschaften und Erlebnissen dieser Zeit. Besonders genau erinnert sie sich aber auch noch an einen Brief des großen Walter Gropius an ihre Mutter, kurz nach dem Kriegsende geschrieben, und für die junge Marie, die nach Kriegshilfsdienst und einem abgebrochenen Architekturstudium auf der Suche nach einem Lebenssinn war, enorm beeinflußend; einen Brief über Töten und Getötetwerden, und über die Notwendigkeit endlich eine bessere Welt aufzubauen...

Der Liebe wegen zog Marie Marcks 1948 nach Heidelberg, und geriet ins Umfeld des dortigen Filmclubs und des heute legendären Cave 54, einer verräucherten Jazzkneipe in der Altstadt. Dort war z.B. der später berühmte internationale Konzertveranstalter Fritz Rau Kassenwart, als Fotograf agierte Robert Lebeck, der heute zu den weltweit besten Fotokünstlern zählt; Marie lauschte den Vorträgen von Thornton Wilder und James Baldwin und den revolutionären Klängen von Musikern wie Louis Armstrong, Oscar Peterson, Lionel Hampton und Ella Fitzgerald, die regelmäßig zur Betreuung der amerikanischen Truppen nach Heidelberg eingeflogen wurden; zwischendurch entwarf sie die Plakate, Einladungen, Anzeigen und Prospekte fürs Cave und den Filmclub, dies, so erinnert sie sich, i.a. für ein Butterbrot oder ein Freigetränk...

Offenbar ganz nebenbei bewältigte sie allerdings auch noch ein Dasein als Hausfrau und Mutter von fünf Kindern ! Anfangs eher zufällig erhielt sie Gestaltungsaufträge, illustrierte Bücher und geriet über Freunde Ihres Mannes schließlich an ihren ersten wirklich großen Auftrag : der Gestaltung des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Brüssel 1958. Inhaltlich vermutlich noch wichtiger für ihre Entwicklung war ein Folgeauftrag, der sich daraus ergab : die Realisierung des deutschen Sektors bei der Ausstellung "atoms for peace" in Genf. Der Leiter der seinerzeit hoch angesehenen Zeitschrift "Atomzeitalter", Claus Koch, sprach sie an und bat sie, für sein Blatt Karikaturen zu zeichnen – natürlich sagte sie zu, und geriet so in das faszinierende Umfeld der wichtigsten und klügsten Köpfe dieser Jahre...

Während die meisten Menschen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre die friedliche Nutzung der Atomkraft als Beginn eines paradiesischen Zeitalters ansahen, bekam sie schon damals eine Fülle von Hintergrundinformationen und begann alsbald, das Paradies ausgesprochen kritisch zu hinterfragen. Sie selbst sagt über diese Zeit : "Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung... aber meine oft sehr naiven Vorschläge wurden in dieser Gründerzeitstimmung akzeptiert – wahrscheinlich weil es einfach keine anderen gab..." So war tatsächlich sie die erste, die vorschlug, man möge die Kühltürme der Kraftwerke doch bunt anstreichen, weil das deutlich netter aussähe als das übliche Grau...

Weggefährten von damals bestätigen, daß man dieser kleinen, wirbeligen, rotzfrechen Frau einfach nichts abschlagen konnte ! Und so gelang es Marcks dann auch 1964, als erste und einzige Frau in der von Männer nicht nur dominierten, sondern wahrhaft "beherrschten" deutschen Zeitungswelt Fuß zu fassen; sie hatte nämlich spaßeshalber den Kanzler des Wirtschaftswunders Ludwig Erhard als spießige Kaffeekanne und seine Untertanen als Sammeltassen gezeichnet – das fanden die Redakteure der "Süddeutschen Zeitung" so unerhört und komisch, dass Marie Marcks fortan als offizielle Karikaturistin des Blattes fungieren durfte. Dies mit einer lange Jahre erstaunlichen Narrenfreiheit; wie sie selbst glaubt, nahm man(n) sie schlicht nicht wirklich ernst und ließ "die Kleine" halt gewähren. Diese Freiräume nützte die Marcks gnadenlos aus – ich zitiere : "Ich hatte durch meine persönlichen Erfahrungen einen ganz anderen Blick auf das Weltgeschehen als die mich umgebenden Herren; ich hatte fünf Kinder, drei Mädchen und zwei Jungs, und wenn es etwa um Kriegsgefahr und Wiederbewaffnung ging, waren die beim Zeichnen natürlich in meinem Hinterkopf. Die männlichen Kollegen brachten diese emotionale Komponente nicht in ihre Arbeit ein; sie reflektierten und thematisierten diese ganz persönlichen Bedrohungen praktisch überhaupt nicht. Ähnlich war es dann wenig später mit dem Paragraf 218, der den Schwangerschaftsabbruch regelte bzw. unter Strafe stellte – die Männer machten zwar die Gesetze, aber die Sache selber interessierte sie nicht wirklich – mich schon !"

Marie Marcks war somit in der satirischen Aufarbeitung der Tagespolitik, der Weltpolitik, der deutschen Geschichte, der Abrüstung, der Probleme zwischen den beiden deutschen Staaten, schließlich der Friedensbewegung allein auf weiter Flur. Ihre unnachgiebig humanistische Haltung forderte zunehmend böse Anfeindungen und üble Angriffe heraus – aber da saß sie schon so fest im selbstgeschaffenen Sattel, daß man sie nicht mehr einfach totschweigen, mundtot machen oder gar austauschen konnte.

So lag es auch nahe, daß sie von der aufkommenden Emanzipationsbewegung vereinnahmt wurde – ohne ihr eigenes Dazutun, wie sie immer betont hat. Obwohl sie mit den Zielen der Bewegung und vor allem mit der Kritik am patriarchalischen System weitgehend übereinstimmte, störte sie der Konformismus und das "Vereinshafte" – sie hatte im Gegensatz zu vielen anderen Frauen dieser Zeit das Dritte Reich ja bewußt miterlebt, und wollte für nichts und niemanden mehr "marschieren". Dennoch wurde sie neben Alice Schwarzer zur Vorzeigepersönlichkeit der Frauenbewegung, und ist es bis heute geblieben. Es gibt eine kleine Anekdote, die die Unterschiede zwischen den beiden prominenten Frauen belegt. Für die allererste Ausgabe der von Alice Schwarzer gegründeten Zeitschrift EMMA bat Alice Marie um eine Zeichnung; Marie lieferte eine Liedillustration zu einem alten Schlager, mit leichten Änderungen; darin hieß es : "Die Männer sind alle Verbrecher, ihr Herz ist ein finsteres Loch, ihr Herz, das hat tausend Gemächer, aber lieb, aber lieb sind sie doch ! Nur so langweilig !" Das war Alice viel zu männerfreundlich.... Und so kam es zu keiner weiteren Zusammenarbeit...

Dafür setzte Marie Marcks den Kampf auf ihre eigene Art und Weise fort, arbeitete für Pardon, Titanic, STERN, SPIEGEL, FRANKFURTER ALLGEMEINE, die ZEIT, den VORWÄRTS und veröffentlichte mehrere dutzend Bücher. Ihr unverwechselbarer, immer ein wenig krakeliger, hastig anmutender Zeichenstil (der tatsächlich bis in kleinste Details durchdacht, ausgefeilt und komponiert ist), ihre Geschichten, die das Private mit dem Gesellschaftlichen in immer wieder neuer Form verbinden, machten sie auch international zu einer festen und anerkannten Größe. Ihre Arbeiten wurden über die Jahre in umfangreichen Einzelausstellungen zum Beispiel in Wien, Genf, Paris, Melbourne, Auckland, Chikago, New York, Boston, Montreal, Salvador und : in Luckau gezeigt....

Heute lebt die bald 89jährige Künstlerin zurückgezogen in Heidelberg; und bittet Sie herzlich um Verständnis dafür, daß sie aufgrund ihres Alters und ihrer angegriffenen Gesundheit heute nicht hier sein kann.

Kämpferisch ist sie aber immer noch ! Zum Erscheinen ihres neuesten Buches in der MEISTER-Edition des Kunstmann Verlages wurde sie kürzlich zur NDR-Talk-Show eingeladen, Thema "Emanzipation Heute".

Dort sollte sie zwischen der Gattin unseres Bundespräsidenten, Frau Wulff, und Frau zu Guttenberg sitzen. Marie Marcks dazu : "Wer bin ich denn, daß ich mir sowas antun müsste ?!"

Marie Marcks wünscht Ihnen allen viel Spaß mit ihren Bildern und den Werken der geschätzten Kollegen --- und dem neuen Museum für Humor & Satire jeden denkbaren Erfolg !

Ich darf mich dem vollinhaltlich anschließen !!

WP Fahrenberg