Am 23. August 2019 ist der Collagist und Cartoonist Andreas Prüstel gestorben.
Der satirische Künstler hatte zu Lebzeiten viel Spaß am Aberwitz und zu den Bewunderern seines besonderen und eigenen Humors zählten nicht nur Cartoonfans sondern auch viele seiner Zeichnerkolleg*innen. Sein Tod, kurz vor dem 68. Geburtstag, hat viele von ihnen betroffen gemacht. War der Sensenmann auch eines seiner Lieblingsmotive des schwarzen Humors – so hat er bei Andreas Prüstel nicht barmherzig zugeschlagen. Über 4 Monate verbrachte er im Krankenhaus nach einem Schlag- und Herzanfall bis sein geschwächter und kleiner Körper aufgab.
Was ihn überdauern wir – ist seine Kunst. Als Collagist schaffte er mit Schere und Kleber surreale neue Welten, sezierte die DDR und legt die Innereien des bundesdeutschen Alltags bloß. Als Cartoonist entstanden besonders nach der Jahrtausendwende gezeichnete Blätter zu Politik und Gesellschaft, Leben und Tod, Mann und Frau, Alter und Armut ... zum täglichen Wahnsinn, wie man sie auch aus der Satirezeitschrift "EULENSPIEGEL" kennt.
Museen ehrten Andreas Prüstel mit Ausstellungen und das Cartoonmuseum Brandenburg bewahrt bereits einige seiner Werke in der Sammlung Museen für Humor und Satire.
Andreas Prüstel wurde am 10. September 1951 in Leipzig geboren.
Er besucht die Polytechnische Oberschule in Leipzig-Wahren. Nach dem Schulabschluss macht er 1968 eine Ausbildung zum Betonfacharbeiter. Für die Arbeit auf den Großbaustellen des Sozialismus, wie das Kraftwerk Boxberg, ist er denkbar ungeeignet. Er macht danach verschiedene Jobs wie: Heizer, Gleisbauarbeiter bei der Deutschen Reichsbahn, Ausstellungsgestalter, Vermessungsgehilfe oder technischer kartografischer Zeichner und Bote bei einem Leipziger Verlag. Seinen Dienst bei der Nationalen Volksarmee kann er aufgrund eines Tricks vorzeitig beenden.
Von 1976 bis 1977 besucht er die Abendakademie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dort studiert er, u.a. bei Egbert Herfurt, mit dem Schwerpunkt Buchillustration. Andreas Prüstel ist vom Surrealismus fasziniert und bleibt es auch noch, als er von den präzisen, Zeit raubenden Bleistiftzeichnungen zur Collage wechselt. Mit diesem Schritt folgt er einem Ratschlag Jochen Fiedlers, des damaligen Vorsitzenden der Sektion Gebrauchsgrafik im Verband Bildender Künstler – Leipzig.
Andreas Prüstel kennt und schätzt das Collagenwerk von John Heartfield und dessen Arbeiten für die "AIZ" und für Kurt Tucholskys "Deutschland, Deutschland über alles". Anregender und aufregender für ihn sind allerdings Max Ernst, als Schöpfer der surrealistischen Collagen-Suite "Die Frau mit den hundert Köpfen", sowie die Arbeiten des Tschechen Adolf Hoffmeister.
1978 zieht Andreas Prüstel nach Berlin ins Scheunenviertel um und arbeitet als technischer Zeichner bei der BEWAG. Im Jahr 1985 kann er Kandidat des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR werden. Dies ermöglicht ihm die freiberufliche Arbeit als Collagist und Cartoonist. Seine Mentoren sind die Karikaturisten und Zeichner Frank Leuchte und Gerhard Oschatz.
Im gleichen Jahr hat Andreas Prüstel seine erste gemeinsame Ausstellung mit Joseph W. Huber in Halberstadt. Die erste Personalausstellung zeigt er bereits 1984 im Studentenclub der Hochschule für industrielle Formgestaltung - Burg Giebichenstein/Halle.
Zu seinen Collagen sagt er: „Mich hat immer die ästhetische Seite interessiert. Der Aufhänger war, dass es mir in der DDR zu wenig Farbe gab. Ich wollte schöne farbige Bilder machen. Das war am Anfang mein Motiv. Mit Licht und Farbe Bilder machen.“ Das Ausgangsmaterial dazu kommt allerdings aus Westzeitschriften und -katalogen. Strikt hält er sich bei seiner Arbeit an selbst auferlegte Regeln: Keine Bearbeitungen der Fotos durch Vergrößern oder Verkleinern. Keine Retuschen. Keine computergestützten Bearbeitungen. Andreas Prüstel ist ein Handwerker aus Überzeugung mit Schere und Kleber. Auch wenn seine Arbeiten immer wieder Anspielungen auf die DDR-Verhältnisse enthalten, ist die politische Satire erst ab 1988 in seinen Collagen zu finden. Sie spiegelt den Frust der letzten DDR-Jahre wider.
Ab 1982 beschäftigt er sich, angeregt durch die Freundschaft mit dem Collagisten Joseph W. Huber, mit „Mail-Art“ und Projekten in diesem Kunstgenre. Über diese Aktivitäten kommt es zu Verbindungen mit kritischen Künstlern in der DDR und zahlreichen Kontakten mit internationalen Künstlern. Die Staatssicherheit beginnt, die eingehende Post zu kontrollieren. Es kommt zu Vorladungen und der Androhung von Konsequenzen, falls die Mail-Art-Aktivitäten nicht eingestellt werden. Im Jahr 1986 findet der „1. Dezentrale Internationale Mail Art-Congress“ im Atelier des Berliner Malers Robert Rehfeldt statt, an dem sich auch Andreas Prüstel beteiligt. Bis ins Jahr 1992 hinein kommuniziert er noch über das Medium „Mail-Art“.
1987 schickt er, auf eigen Faust, Arbeiten zur Ausstellung „Gipfeltreffen“ an das „Wilhelm-Busch-Museum“ in Hannover. Als einziger Collagist schafft er es in die Endrunde der letzten 20 Bewerber, die zur Verleihung für den „Wilhelm-Busch-Preis“ ausgestellt werden.
Er beteiligt sich 1988 zum zweiten Mal an der Karikaturenbiennale in Greiz und erhält den ersten Preis. Beim darauf folgenden letzten „Satiricum ´90“ wird ihm der Preis des Verbandes Bildender Künstler im Sonderwettbewerb „Wahlverwandschaften“ verliehen. Darüber hinaus erhält er 1992 den "Eulenspiegelpreis“ der Universität Leipzig und 1995den „Satirikerpreis“ des Kabaretts „Herkuleskeule“.
Zu DDR-Zeiten gibt es keine eigenen Veröffentlichungen von Andreas Prüstel in Zeitungen oder Zeitschriften. 1988 erscheint unter der Rubrik „Der freche Zeichenstift“ eine Vorstellung in der Zeitschrift „Das Magazin“ durch Herbert Sandberg. Für die letzten beiden „Karigrafie“-Ausstellungen unterm Fernsehturm in Berlin übernimmt er die Regie, gemeinsam mit Dr. Sergej Daniltschenko. Im Mai 1990 ist er für die Regie der letzten Ausstellung im Kulturzentrum der DDR in Paris verantwortlich.
Mit der politischen Wende kann er sich endlich zu Wort melden. "Als die Mauer kippte, schnippte es bei mir aus. Ich arbeitete wie ein Verrückter", sagt er. Seit November 1989 vor allem für den "Eulenspiegel", in dem er anfangs zeitweise mit zehn Arbeiten und mehr vertreten ist. Als dieser vom Wochenblatt zur Monatsschrift wird und sich bundesweit öffnet, verringern sich die Möglichkeiten, mit Blättern vertreten zu sein. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erfährt eine Titelcollage von Andreas Prüstel für den „Eulenspiegel“ aus dem Jahr 1996, gegen den die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley klagt. Bis heute zählt er zu den ständigen Mitarbeitern der Satirezeitschrift. Eine weitere Publikation, für die er langjährig, bis heute, arbeitet, ist die Obdachlosenzeitung „Straßenfeger“ aus Berlin. Darüber hinaus erscheinen Arbeiten u.a. im Stadtmagazin „Zitty“, in der Zeitung „taz“, bei „SPIEGEL-Online“ und in der „Sächsischen Zeitung“. Titelcollagen entstehen beispielsweise für „Wirtschaft und Markt“ und die „Neue Thüringer Illustrierte“.
1992 bringt der „Eulenspiegel Verlag“ die erste Publikation mit Collagen von Andreas Prüstel unter dem Titel „Aufschnitt“ heraus. Es ist ein „Post-Karten-Buch“. Weitere Bücher dieser Art folgen: mit den Titeln „Grüße aus der DDR“ und „Schöne Grüße aus der DDR“.
Für die „Edition Inkognito“ übernimmt er den Gestaltungsauftrag für ein „'ATA' - DDR Gedächtnisspiel“ und erhält 1998 für seine Umsetzung die Bronzemedaille des "Art Directors‘ Club Deutschland". Darüber hinaus ist er zusammen mit Rolf Lonkowski Herausgeber von Cartoonbüchern und einer erfolgreichen Reihe von thematischen Sammelbänden mit Cartoons und Karikaturen unterschiedlichster Zeichner im „Eulenspiegel Verlag“.
Als die Nachfrage an Collagen seitens der Medien immer mehr zurückgeht, entschließt sich Andreas Prüstel, wieder öfter zum Stift zu greifen. Seit dem Jahr 2001 fertigt er regelmäßig Cartoons als Angebot für Zeitungen und Zeitschriften an. Auch in diesem künstlerischen Genre findet er Anerkennung und erhält z.B. jeweils den 3. Preis des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger für Karikatur – bei den „Rückblenden“ 2006 und 2007 in Berlin.
Es gab Personalausstellungen von Andreas Prüstel in Deutschland und Österreich. Partnerschaftliche Ausstellungen hat er zusammen mit den Künstlern Robert Gernhardt, Joseph W. Huber, Ottfried Zielke und Philipp Heinisch.
Hinzu kommen zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen. So war er 2011 in der Ausstellung "Test the West ! - Karikaturisten aus Ostdeutschland“ im Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst Hannover vertreten, die vom Cartoonmuseum Brandenburg kuratiert wurde. Dort hatte er auch 2012 eine umfangreiche Personalausstellung mit dem Titel „Normaler Schwachsinn“ begleitet von einem gleichnamigen Cartoonband im Schaltzeit Verlag, Berlin.
... vom Künstlerkollegen Paolo Calleri